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Hauptverfahren im „Caso Unión“ hat begonnen

Zunächst die Vorgeschichte:

Alles begann 2008 mit der „Operación Unión“:

“Operación Unión”, der Einsatz einer Sondereinheit der Guardia Civil, war die Grundlage für das bisher größte Strafverfahren auf Lanzarote. Es geht u.a. um Betrug, Korruption, Amtsmissbrauch und Urkundenfälschung.

Benannt wurde der Einsatz nach der „Bar Unión“ in Arrecife, einem beliebten Treffpunkt für Verhandlungen über geldwerte Gefälligkeiten im lukrativen Immobiliengeschäft, sowie für die Übergabe von mit Geldscheinen prall gefüllten Umschlägen. Und weil sich dort am 22.7.2008 der Unternehmer Fernando Becerra Robayna mit Carlos Espino Angulo, seinerzeit Generalsekretär der PSOE von Lanzarote, traf, um das ins Stocken geratene Projekt “Costa Roja” in Playa Blanca voran zu bringen.

Bei diesem Immobilienprojekt ging es um den Bau von sage und schreibe 1008 Wohnhäusern, 220 gewerblichen Einheiten sowie 2.559 Garagen.

Der politisch bestens vernetzte Fernando Becerra war im Auftrag des einflussreichen Bauunternehmers Luis Fernando Lleó Kühnel zum Treffen gekommen, um Carlos Espino in den großen Kreis der Bestochenen zu manövrieren. Er wusste allerdings nicht, dass Carlos Espino die Guardia Civil zuvor informiert hatte und sich für Beweiszwecke hat verkabeln lassen.

Caso Unión: Ein komplexer Justizfall

Es folgten – zum Teil in filmreifen Blitzaktionen – weitere Einsätze der Guardia Civil: Es fanden Razzien in Amtsstuben, Büros, Wohnungen, Häusern und anderen Räumlichkeiten statt. Zahlreiche Politiker, Behördenmitarbeiter und Unternehmer wurden verhört, Angehörige befragt. Es wurden Aktenberge mit Beweismaterial angehäuft und durchforstet sowie Aufnahmen aus weiteren Abhöraktionen analysiert.

Wohl um die Ermittlungen auf unbestimmte Zeit in die Länge zu ziehen und einen nach den Regeln der Justiz bestimmten Lauf der Dinge in andere Bahnen zu lenken, wurden ermittelnde Richter versetzt bzw. ausgetauscht. Wichtiges und belastendes Beweismaterial verschwand spurlos aus verschlossenen Amtsstuben und dem Gerichtsgebäude. Darunter die Originalaufnahmen von zwei Abhöraktionen, auch die vom o.g. Gespräch vom 22.7.2008. Hiervon ist wenigstens noch eine Kopie vorhanden. Von der zweiten verschwundenen Aufnahme, der Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen Carlos Espino und Luis Fernando Lleó, zu dem sich Carlos Espino ebenfalls hat verkabeln lassen und in dem es so richtig zur Sache gegangen sein muss, gibt es noch nicht einmal mehr eine Kopie.

Nicht in jeder Ermittlungsakte, auf der „Caso Unión“ steht, ist also noch belastendes Beweismaterial enthalten.

Was in den vergangenen Jahren noch geschah

Gut sechs Jahre sind zwischenzeitlich vergangen, und der Kreis der Angeklagten und  Involvierten im Caso Unión (zu dem auch der Caso Jable gehört) wurde immer größer. Insgesamt sind über hundert Personen tief verstrickt. Viele Namen tauchen nicht nur in diesem, sondern auch in anderen Skandalen auf. Der Caso Unión ist schließlich nicht der einzige Inselfall für die Justiz, der aus dem Sumpf von Korruption, Betrug, Vetternwirtschaft und Amtsmissbrauch hervorgegangen ist, wohl aber der bisher umfangreichste.

Langeweile ist in den Jahren des Wartens nicht aufgekommen, denn Presse, Funk und Fernsehen berichteten regelmäßig. Darunter auch die medialen Sprachrohre der politisch und wirtschaftlich einflussreichen Inselkaste (z.B. Lancelot, Canarias7, Cadena SER, 7.7 Radio Lanzarote): Sie haben in so mancher Berichterstattung den Opfer-Täter-Spieß in höchst grotesker Manier umgedreht und insgesamt ziemlich viel verbales Gift auch in Richtung Justiz gespritzt. Dem Staatsanwalt Ignacio Stampa platzte deshalb der Kragen, weshalb er neulich gegen den Journalisten Francisco J. Chavanel Ansprüche geltend gemacht hat wegen Verletzung der persönlichen Ehre.

Dimas Martín Martín

Eine der omnipräsenten und zentralen Figuren im Inselsumpf ist Dimas Martín Martín. Er war von 1991 – 1993 sowie 2003 – 2004 Inselpräsident und ist auch im Caso Unión einer der Hauptangeklagten. 1989 gründete er „seine“ Partei PIL Partido de Independientes de Lanzarote (Partei der Unabhängigen), war dort Dauer-Parteivorsitzender bis 2010; und ist seitdem Ehrenvorsitzender. Neuer (offizieller) Vorsitzender wurde sein Sohn Fabian Martín.

In 2004 legte Dimas Martín sein Amt als Inselpräsident zähneknirschend von seiner Gefängniszelle aus nieder, nachdem er im Zusammenhang mit dem Skandal um den „Complejo Agro-industrial“, bei dem es um die Veruntreuung von etlichen Millionen ging, zu acht Jahren Freiheitsentzug veruteilt worden war. Später erhöhte sich im Rahmen eines weiteren Prozesses seine Gefängnisstrafe um zwei Jahre.

Die räumliche Begrenzung in der JVA von Tahíche hatte nicht zur Folge, dass er sich das Zepter hat entreißen lassen und etwa in sich gekehrt wäre: Um weiterhin wie gewohnt und nach eigenem Gutdünken schalten und walten zu können, funktionierte er seine Zelle zu einer Art Kommandozentrale um, mit regem Postverkehr und gutem Handy-Empfang – wie sich noch herausstellen sollte.

Mehr zu Dimas Martín hat Karl Kunze / Lanzarote 37° in diesem Artikel geschrieben: Korruption und Bestechung auf Lanzarote: Der Zwiebelkönig und seine Freunde. Dort gibt es auch weitere Hintergrundinformationen u.a. zum Caso Unión.

Der Auftakt des Hauptverfahrens

Vergangene Woche, am 16. – 17.10., startete das lang erwartete Hauptverfahren. Die ersten sechs Angeklagten wurden vernommen:

  • Dimás Martín Martín,
  • Francisco Rodríguez Batllori – ehemaliger stellvertretender Justiz- und Arbeitsminister der kanarischen Regierung,
  • María Luisa Blanco Carballo, ehemalige Stadträtin von Arrecife, PIL,
  • Rafael Elorrieta Larrea, ehemaliger Geschäftsführer von Inalsa, also dem damaligen Wasserversorger der Insel, einem Konsortium der Gemeinden und der Inselregierung (Inalsa ist vergangenes Jahr privatisiert worden und firmiert nun unter Canal gestión Lanzarote). Er ist verheiratet mit Elena Martín, einer der Töchter von Dimas Martín,
  • Plácida Guerra Cabrera, ehemaliges geschäftsführendes Verwaltungsratsmitglied von Inalsa, PIL,
  • José Miguel Rodríguez Sánchez, ehemaliger Stadtrat für Finanzen von Arrecife, PIL.

Darum ging’s am 16. und 17.10.:

Bei einer Durchsuchung der Zelle von Dimas Martín in 2009 wurde u.a. eine Rechnung von Francisco Rodríguez Batllori sichergestellt, auf der zu bezahlende aber von ihm wohl nie erbrachte Beratungsleistungen aufgelistet waren. Darüber hinaus fanden sich auch Briefe von Batllori, in denen er Dimas Martín bat, die Zahlungen solcher Rechnungen schleunigst in die Wege zu leiten, da er gerade klamm sei.

Eine ganz spezielle Leistung sollte Batllori jedoch erbringen: Kraft seines Amtes als stellvertretender Justizminister der Kanaren und den damit einhergehenden, hervorragenden Beziehungen sollte er dafür sorgen, dass Dimas Martín das Gefängnis schon bald als Freigänger werde verlassen könne. Das Telefonat, in dem sie Einzelheiten besprachen, wurde aufgenommen und im Gerichtssaal teilweise abgespielt.

Aus weiteren Unterlagen ging hervor, dass Batllori tatsächlich mehrere Zahlungen für Beratungsleistungen erhalten hat; und zwar abwechselnd vom Rathaus von Arrecife und von Inalsa. Diese Consultingleistungen sind von ihm in Wirklichkeit nie erbracht worden bzw. waren auch gar nicht erforderlich. Das ergaben die Untersuchungen und auch die Aussagen anderer hierzu befragter Rathaus- sowie Inalsa-Mitarbeiter. Auch fanden sich noch nicht einmal Anhaltspunkte für die in diesen Fällen zwingend erforderlichen Ausschreibungen sowie schriftlichen Verträge oder Aufträge.

Angewiesen wurden die Zahlungen von den weiteren o.g. Angeklagten. In diesem Zusammenhang ging es insgesamt um rund 40.000,-.

José Miguel Rodríguez war der einzige der sechs Angeklagten, der bereits vor längerer Zeit geständig war und sich einsichtig zeigte. Die Beträge, die er persönlich in diesem Zusammenhang zur Zahlung angewiesen hatte, hat er zwischenzeitlich aus eigener Tasche ans Rathaus von Arrecife gezahlt. Ihm droht daher „nur“ eine Haftstrafe von einem Jahr, im Gegensatz zu den anderen Angeklagten:

Bei Batllori geht es um 8 Jahre Haft, weil ihm neben Amtsmissbrauch, Betrug und Veruntreuung öffentlicher Gelder auch Urkundenfälschung vorgeworfen wird, bei Dimas Martín sind es sechs Jahre.

Bei den drei weiteren Angeklagten María Luisa Blanco, Rafael Elorrieta Larrea und Plácida Guerra Cabrera geht es um fünf Jahre. Sie blieben im Gerichtssaal ziemlich wortkarg; bzw. überließen das Wort lieber ihren Verteidigern.

Dimas Martín, zumindest an diesem Tag ebenfalls nicht besonders gesprächig, gab zu verstehen, dass sein Einfluss seinerzeit viel zu gering gewesen sei, als dass er Zahlungen in die Wege hätte leiten können. Was sich allerdings fast wie ein Witz angehört haben muss. Und an die Briefe von Batllori und Telefonate mit ihm könne er sich partout nicht erinnern.

Besonders komisch muss es im Gerichtssaal zugegangen sein, als Batlorri zu dem o.g. Telefonat und den konfiszierten Briefen Stellung nehmen sollte. Er antwortete: “Ich erkenne weder meine Stimme noch meine Schrift”.

Die Verteidung steht übrigens auf dem Standpunkt, dass die Durchsuchung der Gefängniszelle, bei der die Briefe sichergestellt wurden, illegal gewesen sei und damit sämtliches Beweismaterial ungültig.

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Nachtrag/Fortsetzung vom 21.10.:

Heute haben sich u.a. zwei Zeugen der Verteidung geäußert.

Zunächst María José Docal Serrano, früher u.a. Tourismusrätin von Lanzarote und heute eines der drei Ratsmitglieder der PIL in der Inselregierung. Dabei ergaben sich keine neuen oder gar entlastenden Erkenntnisse.

Spannender war es, als der Zeuge Roberto Acuña, damals externer Berater für Human Resources von Inalsa, Mitglied der PIL, berichtete, dass er sich von Batllori hat beraten lassen in Sachen Fortbildungsmöglichkeiten von Inalsa-Mitarbeitern. Eine der Leistungen von Batllori sei es gewesen, ihn in Kontakt mit Femepa zu bringen (das ist die Vereinigung der kleinen bis mittleren Unternehmen im Bereich Metall und neue Technologien; und gleichzeitig auch Anbieter diverser Fortbildungsmaßnahmen).

Der Staatsanwalt Javier Ródenas fügte erläuternd hinzu, dass Acuña von 2008 – 2009 insgesamt 33.000,- für seine Beratungsleistungen erhalten, aber wiederum 26.000,- Euro an Batllori für Beratungsleistungen gezahlt habe. Sodann nahm er Acuña in die Zange: Ob er tatsächlich jemanden brauchte, um auf Femepa und auf die Idee von Schulungsmaßnahmen zu kommen. Wie viel Zeit er denn beraten habe und beraten wurde, um etwa 3-Wochen-Kurse zu finden. Und ob diese denn nicht in den gelben Seiten zu finden seien usw.

Insgesamt verwickelte sich Roberto Acuña in Widersprüche gegenüber seinen in der Vergangenheit bereits erfolgten Aussagen, wie der Vorsitzende Richter und der Staatsanwalt feststellten.

Danach sagten Zeugen der Anklage aus:

Enrique Pérez Parrilla, ehemaliger Bürgermeister von Arrecife sowie Bedienstete des Rathauses von Arrecife. Sie wussten nichts von Verträgen zwischen dem Rathaus und Batllori. Pérez Parrilla betonte zudem, dass Stadträte in der Position der Angeklagten gar keine Befugnis hätten, Beraterverträge zu vergeben ohne vorherige Zustimmung des Plenums oder des Bürgermeisters.

Als Andrés Barreto aussagte, kam es zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen ihm und dem Anwalt von Plácida Guerra. Andrés Barreto, ehemaliges Gewerkschaftsmitglied, hat 30 Jahre lang an Tarif- und anderen Verhandlungen von Inalsa aktiv teilgenommen. Auch in 2008 und 2009, in denen Batllori von Inalsa insgesamt 26.000,- Euro für Beratungsleistungen erhalten hat, sei Batllori in keine Verhandlung involviert gewesen. Außerdem gab es in dieser Zeit weder außergewöhnliche noch komplizierte Fälle, die externe Beratungsleistungen hätten begründen können. Der Anwalt von Plácida Guerra erwiderte u.a., dass Batllori als Berater im Hintergrund gar nicht anwesend sein musste.

Es war seinerzeit Andrés Barreto, der nach internen Untersuchungen bei Inalsa zu den fraglichen Rechnungen kam, daraufhin Anzeige gegen Batllori erstattete und die Unterlagen der Staatsanwaltschaft übergab.

Die Verhandlungen endeten heute vorzeitig, nachdem die Verteidiger auf die Vernehmung weiterer Zeugen verzichtet haben. Die Fortsetzung erfolgt am 18.11.14 auf Gan Canaria.